STRUGA. na wšón gwalt
Struga
Im Jahr 2011 entschied die deutsche Bundesregierung den Ausstieg aus der Atomenergie. Dadurch rückt der Braunkohleabbau für die Energieunternehmen verstärkt in den Vordergrund. Die Folgen der expandierenden Tagebaue sind im Osten Deutschland das Verschwinden vorrangig sorbischer Siedlungen in der Lausitz.
Ich begleitete fortlaufend in den Jahren 2011 bis 2012 diesen Zerfall auf Raten fotografisch und dokumentierte ihn mit einer Fach- und einer Mittelformatkamera. Es ist eine dokumentarfotografische Arbeit über jene Orte und diese Region in einer gesellschaftlich-ökonomischen Umbruchsituation. Die Überführung in eine als Archiv angelegte Arbeit folgerichtig. Zum einem erscheint die Fotografie als Medium der Erinnerungskonservierung und fortführend als bildhaftes Gedächtnis dieses Gebietes. Es beinhaltet somit Sozial- und Kulturgeschichte, Struktur- und Umwälzungsprozesse, mit welchem die nationale Minderheit der Sorben weiterhin konfrontiert ist und ermöglicht zeitgleich eine Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit. Es ist mir dabei wichtig, gerade auch das Alltägliche und die gelebten Traditionen zu dokumentieren, solange die Dorfstrukturen noch teilweise existieren.
In meinen Fotografien nehme ich zwei Positionen ein: den strategischen Zugang des dokumentierenden Langzeitbeobachters (Großbildaufaufnahmen) und eine autobiografische Perspektive (Mittelformataufnahmen), die einen subjektiven und innerlichen Blick auf Altbekanntes wirft und Verschollenes sucht.
Ich bin ich auf die Suche nach den verbindenden Elementen der Bewohner zueinander gegangen. Und dies ist w.rtlich gemeint. Ich suchte die Wege, die alles miteinander verbinden und welche Stück für Stück durch neue Schneisen im Tagebauvorfeld gekappt werden. Diese zum Teil verlorenen Wege zu finden, das unwegsame Gebiet mit meiner Ausrüstung zu erforschen und nach Indizien und Spuren zu suchen, entspricht meiner Arbeitsweise. Ferner sind diese Wege ausschlaggebend für meine Aufnahmepositionen und verbindende Elemente der Einzelbilder, welche zu Panoramen arrangiert werden.
Dazu definierte ich im Vorfeld klare inhaltliche Kriterien und Kategorien, die ich in ihrer Summe als identit.tsstiftend ansah. Parallel zu den datierten Fotografien ermittelte ich exakte Kamerastandpunkte und Blickrichtungen mittels GPS und Kompass. Die kartographierten Fotografien selbst kategorisierte ich in Themenfelder, welche meine Interessenschwerpunkte aufzeigen: z. B. Alltag, Gehöfte, Tagebau, Tradition, Geschichte, Wege und Wasserwege.
Die Erweiterung des klassischen Bildarchives um die geografische Positionierung führt zu einer zeitlichen Verschränkung der analogen Aufnahmen mit aktuellen Google Street View Aufnahmen, welche fortlaufend aktualisiert werden. Mit fortschreitender Zeit und der Devastierung des Gebietes entfernen sich aber beide Systeme bzw. sichtbaren Referenzobjekte wieder voneinander.
Das Struga – Archiv ist Ziel und Methode zugleich. Es verbindet durch die Kategorisierung der Bilder – abgebildet auf den Archivblättern – die Bilder selbst zueinander, ist selbstreferenziell. Die Fotografien zeigen kleine Sprünge durch die Zeit. Im Ergebnis wird bildhaft ein Jahr mit allen Jahreszeiten und allen Formen des Lebens sichtbar.
Heute existieren alle Referenzobjekte meiner Fotografien nicht mehr. Sie sind dem Tagebau zum Opfer gefallen. Alle Wege und Pfade sind verschwunden und damit das kommunikative Geflecht der Region. Auch die sprachliche Ebene ist davon betroffen. Genau um diesen Verlust geht es mir.
Mein erzählendes, einen Blick in die Vergangenheit richtendes Archiv mit einem von mir nicht übersetzten sorbischen Titel und die Möglichkeit die Aufnahmeorte stets online abzurufen, erweitern die Arbeit inhaltlich und ermöglichen einen dauerhaften Abgleich. Das Archiv steht damit exemplarisch für den weiteren Verlust und zeitgleich verstärkt es sich inhaltlich durch die Vergegewärtigung in der Online-Nutzung respekive in ihrem Abgleich.